Corona-Krise – Das Paradies der Träumenden.

»Es wird sein, wie wenn ein Hungriger träumt, er esse,
und wenn er aufwacht, so ist seine Seele immer noch leer.«

Jesaja 29,8/a  (wörtlich, RM)

Einmal im Jahr wird in der südwestenglischen Stadt Honiton die Hauptstrasse gesperrt. Dann sammeln sich Einheimische und Touristen, jung und alt vor einem der historischen Gebäude im Zentrum und warten auf den Ausrufer, der – wie schon im 13. Jahrhundert – um Punkt 12 Uhr den Markt eröffnet und für die Dauer des Marktes Straffreiheit ankündigt. Der Ausrufer wird vom Bürgermeister begleitet, und dann werden »dem Volk« vom Balkon einige heisse Pennies hinabgeworfen. Am “Hot Pennies Day” stürzen sich dann alle auf die erhitzten Münzen; einige verbrannten sich auch schon einmal die Finger oder erlebten, dass der Plastiksack schmolz, in dem man die Münzen sammelte. Es wird erzählt, dass sich früher die Reichen der Stadt daran ergötzten, wie sich die Tagelöhner und Armen ihre Finger verbrannten. Inzwischen dürfen die Pennies nur noch “warm” sein … – Ist das der Traum vom Schlaraffenland, Geld das vom Himmel fällt?

Die fürsorglichen Einschränkungen in der Corona-Krise lassen uns vieles vermissen, was lange als selbstverständlich, als “normal” galt. Zwar träumen einige bereits von einer sozialistischen und grüneren “Neuen Normalität”, doch bereits die Erinnerung an Gartenfeste, Ferienreisen und freien Grenzverkehr weckt geradezu paradiesische Erinnerungen. Für einige liegt das Paradies vor uns; für andere lebt es in Erinnerungen an die “Zeit vor Corona” und sie wünschen sich ihre alte Normalität zurück. Mancher hat wohl vergessen, dass er sich damals noch so manches erträumte und längst nicht zufrieden war. Anfangs des Jahres berichteten die Medien zwar, dass die Schweiz unter allen Nationen der Erde der allerbeste Wohnort wäre – doch die Werbung zeigt uns täglich, was der Nachbar schon längst hat, uns aber noch fehlt …

Wer den Eindruck hat, ihm würde nichts fehlen, wähnt sich im Paradies – und wer Elend, Not und Krankheit erlebt, der wünscht sich zurück in seine Vorstellung von Normalität … Doch all das, was für uns “Alltag” war oder ist, all das ist – so sagt Jesus – noch lange nicht das wahre Leben! Der Kontrast zum Evangelium ist enorm. ER, Jesus in Person, ist das wahre Leben; und selbst wenn wir “alles” hätten, so würde uns ohne Jesus tatsächlich alles fehlen!

Salomo überlieferte uns das Gebet des Agur und stellt unser Alltagsleben so in den Horizont Gottes: »Zweierlei bitte ich von dir, das wollest du mir nicht verweigern, ehe denn ich sterbe: Falschheit und Lüge lass ferne von mir sein; Armut und Reichtum gib mir nicht; lass mich aber mein Teil Speise dahinnehmen, das du mir beschieden hast. Ich könnte sonst, wenn ich zu satt würde, verleugnen und sagen: Wer ist der HERR? Oder wenn ich zu arm würde, könnte ich stehlen und mich an dem Namen meines Gottes vergreifen.« (Sprüche 30,7-9/Luther 1984) Ein Leben ohne Gott ist wie das “Paradies der Träumenden” – wenn sie aufwachen, ist ihre Seele immer noch leer …

In Bezug auf Seine Wiederkunft auf unsere Erde sagt Jesus: Es wird »wie in den Tagen Noahs sein. Damals vor der großen Flut aßen und tranken die Menschen, sie heirateten und wurden verheiratet – bis zu dem Tag, an dem Noah in die Arche ging. Sie merkten nichts, bis die Flut hereinbrach und sie alle hinwegraffte.« (Mt. 24,37-39/NGÜ) Eine blinde Zufriedenheit im Alltag kann uns ebenso wie die Träume vom Schlaraffenland für das blind machen, was unsere Seele dringendst benötigt: Befreiung von aller Sünde und Frieden mit Gott, unserem Schöpfer!

So paradox es klingen mag: Wer erst nach seinem Tod wirklich aufwacht, der wird den Schock seines Lebens erleben und erkennen, jetzt ist es zu spät! Das wahre Paradies liegt in der Versöhnung mit Gott! Diese wird uns jetzt in Jesus aus Gnade angeboten, und nur im Diesseits!

© Pfarrer Reinhard Möller