Corona-Krise – Wo bleibt die Solidarität der Regierung?

»Sucht das Wohl der Stadt, in die ich euch in die Verbannung geführt habe, und betet für sie zum HERRN, denn in ihrem Wohl wird euer Wohl liegen.«

Jeremia 29,7  (Zürcher Bibel 2007)

Die ehemaligen Regierenden, dazu Priester, Propheten und das jüdische Volk befanden sich in Babel in der Verbannung – über Jahre. Aus Jerusalem erhalten sie einen Brief des Propheten Jeremia, der ihnen im Auftrag Gottes mitteilt, sie mögen sich in der Gefangenschaft wohnlich einrichten, Familien gründen, sich nicht von Wahrsagern täuschen lassen und – und das ist bis heute für manchen überraschend – sie mögen für ihre Stadt beten und sich für deren Wohl engagieren. Nebukadnezzar hatte sie aus Jerusalem weggeführt, doch zugleich stand hinter dem ganzen richtenden Geschehen der lebendige Gott selbst (V. 7).

Ob in Freiheit oder Verbannung, in der Heimat oder in der Fremde: Christen sehen immer ihre Aufgabe darin, den Nächsten und ihrer Region (wenn möglich auch darüber hinaus) mit der Liebe Gottes zu dienen: praktisch, konkret, ganzheitlich, spürbar. Wir suchen, wie Luther hier übersetzte, »der Stadt Bestes«! Da ist dann die caritativ-diakonische Hilfe, die in ihrer Vielfalt auch hier in Mitteleuropa unverzichtbar und tragend ist – da ist aber immer auch die Fürsorge für die Seele des Einzelnen, die seinem Leben Inhalt und Halt gibt, für Zeit und Ewigkeit!

Seit dem ersten Tag der staatlichen Schutzmassnahmen zur Corona-Krise wurde zu Solidarität aufgerufen, zur konkreten Nachbarschaftshilfe; und es funktionierte auch dank des Einsatzes mancher Kirchen hier bei uns in der Schweiz, wie auch in anderen Staaten. Allerdings ist den meisten dabei nicht mehr bewusst, dass die Wurzeln dafür in der jüdisch-christlichen Ethik liegen, ohne welche es unsere freiheitsbewussten Werte und Menschenrechte so gar nicht gäbe.

Nach einigen Wochen Lockdown wuchs der Ruf nach Lockerung der Ausgangssperren, nach dem Zurück in die alte Normalität. Die Geduld der Bevölkerung nahm laufend ab, die Luft war raus. Regierende und Krisenstäbe kamen zunehmend unter Druck; von allen Seiten kamen Forderungen … bald durften Gartencenter und Baumärkte wieder öffnen, andere Branchen und Möbelhäuser, Kindergärten und Schulen kamen diese Woche dazu. Einzig die Kirchen sollen in der Schweiz noch mehrere Wochen geschlossen bleiben. Absurd!

Der Staat hat die Kirchen fürsorglich gefangen gesetzt und dabei übersehen, dass sie eigentlich unverzichtbar und staatstragend sind. Der SP-Nationalrat Eric Nussbaumer (Kanton Basel-Landschaft) verstieg sich zur Aussage, »dass Freikirchen nicht systemrelevant sind«; wer sich daran erinnert, dass er 2012 sagte “Gott ist ein Linker”, wird sich allerdings kaum wundern.

Welch ein Kontrast sind dazu Worte aus dem regierungsrätlichen Aufruf zum Bettag 2018, verfasst von Dr. Anton Lauber, CVP: “Die von den Kirchen aus dem Geist der Heiligen Schrift vertretenen Grundwerte sind für den Staat unentbehrlich. Es sind dies vor allem Achtung vor der Freiheit und der Würde der menschlichen Person, ferner Liebe, Wahrheit, Friede, Gerechtigkeit und Solidarität. Durch die Erhaltung und die Vermittlung solcher Grundwerte tragen die Kirchen eine hohe Verantwortung für Staat und Gesellschaft. … Schliesslich hat die Kirche Staat und Gesellschaft gegenüber auch die Pflicht, die Botschaft Christi zu verkünden und Kräfte zu kritisieren, welche die Menschenrechte, die Menschenwürde und die göttliche Berufung des Menschen missachten.” Wie wahr: “unentbehrlich”, also doch “systemrelevant”!

Es gibt keinen Ersatz für reale Gemeinschaft in Gottesdiensten und Gebetstreffen; wir brauchen offene Kirchentüren! Wo bleibt die überfällige Solidarität der Regierung mit den Kirchen?

© Pfarrer Reinhard Möller