Corona-Krise – und Varianten von Gefangenschaft.

Denn auch der Mensch kennt seine Zeit nicht, so wenig wie … die Vögel, die man mit der Schlinge fängt; gleich diesen werden auch die Menschenkinder gefangen zur Zeit des Unheils, wenn es plötzlich über sie kommt.

Prediger 9,12  (Schlachter 2000)

Die Corona-Krise kennzeichnet so manches Paradox: Die fürsorglichen Ausgangssperren und Grenzschliessungen nennen wir “Lockdown”, ein Wort das eigentlich für “Gefängnis” und fürs Einschliessen von Gefangenen in ihren Zellen verwendet wird. Zugleich wurden in einigen Staaten viele Gefangene vorsorglich frei gelassen, um sie vor der Ausbreitung des Virus im Gefängnis zu schützen. Teilweise wurden sie dann unter Hausarrest gestellt, um sie nach dem Abflauen der Pandemie wieder einzusperren …

Wenn in diesen Tagen die Regierungen täglich einige der Einschränkungen rückgängig machen oder lockern, dann wird so manchem bewusst, dass einige Formen der staatlich verordneten “fürsorglichen Gefangenschaft” noch bleiben: Spitäler und Alters-/Pflegeheime haben weiterhin massive Einschränkungen, was die Besuche von Angehörigen und Freunden betrifft; zugleich dürfen die Senioren ihr Altersheim weiterhin nicht verlassen. Früher als ganz selbstverständlich geschätzte und genutzte Freiheiten existieren plötzlich nicht mehr; Grundrechte sind weiterhin ausser Kraft gesetzt – und das ohne Zustimmung des “freien Menschen des 21. Jahrhunderts”! Die Tage rief mich ein Mann aus einem Altersheim an und klagte, dass die Heimleitung wegen Corona jeden Aufenthalt im Garten des Heimes untersagt habe; er müsse im Zimmer bleiben. Manch einer wird es sich gründlich überlegen, ob er jemals in ein Altersheimzimmer wechselt, wenn er mit einer zweiten oder dritten Welle der Corona-Pandemie rechnen muss.

Das vorangestellte Zitat des Königs Salomo spricht anschaulich davon, dass ein plötzlich hereinbrechendes Unheil uns in Gefangenschaft setzen kann; es trifft uns unvorbereitet, so wie die aktuelle Pandemie. – Die Heilige Schrift spricht sowohl davon, dass Menschen aus bestimmten Gründen gefangen gesetzt werden, wie auch von Gefangenschaft im übertragenen Sinn. Real gefangen wurden beispielsweise verfolgte Christen (Apg. 8,3; 26,10) oder einzelne der Apostel (Apg. 12,3-5; 28,16.17) und Jesus selbst (Joh. 18,1-12).

Darüber hinaus spricht Gott in der Bibel dahingehend zu uns, dass ER aufdeckt, wie wir alle in Sünden gefangen sind (Röm. 6,23; 7,23). So gibt es einige, die »werden gefangen in ihrer eigenen Gier« (Spr. 11,6). Es gibt sehr viele Dinge, die uns gefangen nehmen können: Süchte und andere Abhängigkeiten (vgl. 1. Kor. 6,12). Deshalb sprechen wir von der Knechtschaft oder Sklaverei der Sünde, weil die uns – jeden Menschen ohne Ausnahme – in Finsternis gefangen hält. Diese Not oder Gefangenschaft ist die schlimmste, mit der wir gebunden sind.

Und genau deswegen wurde Jesus Mensch, um uns einen erlösenden Ausweg aus der Sünden-Gefangenschaft zu bereiten, indem ER aus Barmherzigkeit und Liebe dazu bereit war, als der einzig Sündlose und Gottessohn unsere Schuld auf sich zu nehmen, sie zu tilgen und am Kreuz die Strafe des Todes stellvertretend für uns zu tragen. Das ist Erlösung aus Gnade; und der Preis für diesen Loskauf – so schildert es der Apostel Petrus deutlich – war das »teure Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes« (1. Petrus 1,18.19/Luther 1984). Diese befreiende Botschaft, das Evangelium, hat Jesus selbst bezeugt. So sagte ER im Gespräch mit Juden: »Wahrlich, wahrlich ich sage euch: jeder, der Sünde tut, ist ein Knecht der Sünde. Der Knecht aber bleibt nicht für immer im Hause; der Sohn dagegen bleibt für immer darin. Wenn also der Sohn euch frei macht, so werdet ihr wirklich frei sein.« (Joh. 8,34-36/Menge 1927)

© Pfarrer Reinhard Möller